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Am Mittwoch hat Südafrika ein neues Parlament gewählt. Manche sagen, die Wahl sei vielleicht die letzte Chance eines Landes, das seit 25 Jahren um einen neuen Anfang kämpft. Viele junge Menschen haben schon jetzt die Hoffnung aufgegeben.

„Warst Du schon wählen“, frage ich die Köchin des Konvents in Eshowe. „Nein“, sagt sie. „Wozu auch?“ „Damit es Deinem Land besser geht“, sage ich, „damit die richtigen Leute an der Macht sind.“ Sie lächelt, sagt aber nichts. Wie viele junge Menschen hat sie das Vertrauen in die Politik längst verloren. Mehr als die Hälfte der Born-Frees, die erste Generation in Südafrika, die in Freiheit geboren wurde, ist arbeitslos. Massenhaft leben Menschen in Armut, es herrscht Bildungsnotstand, ständig fällt der Strom aus, Korruption, Kriminalität und Rassenhass sind schlimmer denn je. „Warum soll nach dieser Wahl plötzlich alles besser werden?“, fragt sie.

Scherbenhaufen Südafrika

Eine Antwort darauf ist schwer zu finden. 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid sitzt der Frust tief. Der ANC, die Partei von Südafrikas Übervater Nelson Mandela, hat in einem Vierteljahrhundert kaum etwas erreicht. Im Gegenteil: Unter dem Ex-Präsidenten Jacob Zuma, einem Zulu, wurden alleine in der letzten Amtszeit sagenhafte 100 Milliarden Euro gestohlen oder veruntreut. Seit er 2018 seinen Platz für Cyril Ramaphosa räumte, der als integerer Politiker gilt, ist zwar Hoffnung eingekehrt. Doch auch Ramaphosa ist kein Zauberer: Er steht vor einem Scherbenhaufen, fast in allen politischen Bereichen. Viele Bürger sind so frustriert, dass sie nicht mehr an eine Wende glauben. Ein Viertel der Wahlberechtigten – neun Mio. Menschen – hat sich erst gar nicht für die Wahl registriert. Der überwältigende Teil davon ist unter 30 Jahre alt.

„Sie versprechen viel, aber halten nichts davon“

Zibuyile, eine 24-jährige Zulu, hat ihr Kreuz gemacht. Sie hat IFP gewählt, eine regionale Partei, die vor allem im Zululand aktiv ist. Ihre Hoffnung ist, dass sich nach der Wahl wenigstens in ihrem Umfeld etwas ändert. Das nationale Parlament interessiert sie kaum. „Cyril Ramaphosa oder Jacob Zuma“, sagt sie, „es ist doch alles dasselbe. Sie versprechen viel, aber halten nichts davon.“ Dann erzählt sie, wie in ihrer Lebenswelt nichts funktioniert: Gesundheitssystem, Bildung, Straßenbau, Behörden. Laut offiziellen Statistiken sind knapp zwei Drittel aller Gemeinden in Südafrika pleite und völlig handlungsunfähig. Als ihr Haus wegen einem Kurzschluss abbrannte, rannte Zibuyile wochenlang von Büro zu Büro, um Geld aus einem öffentlichen Notfallfonds zu beantragen. Sie hatte ein Anrecht darauf, umgerechnet wären mehr als drei Monatslöhne fällig gewesen. Doch sie scheiterte an der Inkompetenz und Gleichgültigkeit von Staatsdienern. „Keiner wollte mir helfen. Am Ende musste ich aufgeben.“ 

Populisten auf dem Vormarsch

Laut ersten Ergebnissen hat die Regierungspartei ANC auch bei dieser Wahl ihre Mehrheit verteidigt. Zwar hat sie herbe Verluste erlitten, doch 57 Prozent reichen, um das Land weitere vier Jahre zu führen. Das Problem ist: Ein Job als Politiker und Staatsdiener wird von vielen – gerade innerhalb des ANC – als lukrative Möglichkeit gesehen, sich selbst und seinem Umfeld die Taschen vollzumachen. Korruption ist die Normalität. Auch deshalb sind Populisten auf dem Vormarsch: Der linksradikale EFF (aktuell 10 Prozent) verspricht mehr Geld für alle Bürger, will weißen Farmern das Land wegnehmen und Konzerne und Banken enteignen: Einfache Lösungen für komplexe Probleme. Mit Prügeleien im Parlament sorgen sie für Aufmerksamkeit, ihr Markenzeichen ist eine rote Uniform mit Barrett. Kürzlich fuhren wir mit dem Auto durch Mbongolwane, als uns ein wütender Mann in EFF-Uniform entgegenkam. Als er mich sah, formten seine Hände eine Bewegung, als ob er mir langsam die Kehle durchschneiden würde.

Leben mit geschlossenen Augen

Die weiße Minderheit hofft derweil, dass eine Wende kommt, ohne dass sie ihre Privilegien aufgeben muss. Manche – auch in unserem Umfeld – verkaufen ihren Besitz und wandern nach Australien oder England aus. Die, die bleiben, verschließen ihre Augen vor der Realität – und leben, als ob es die Ungleichheit im Land nicht geben würde. Sie besitzen Ländereien, häufen Besitz an, führen Unternehmen, kontrollieren das Business, während auf den Zuckerrohrfeldern und in den Supermärkten schwarze Arbeitskräfte für Billiglöhne arbeiten.  Es brodelt unter der Oberfläche, und die Politikverdrossenheit der jungen Leute nimmt ein bedrohliches Ausmaß an. Die 22-jährige Londy hat sich gar nicht erst als Wählerin registriert. „Ich bin viel zu beschäftigt, um wählen zu gehen“, sagt sie. „Vielleicht beim nächsten Mal, in vier Jahren.“ Fraglich, ob das fragile Gebilde Südafrika so lange warten kann.

Text & Fotos: fuexxe/GCIS, ANC, EFF

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