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Ein Jahr Südafrika. Tausend Abenteuer als Familie. Zulu-Tänze und Sandburgen. Braai und Gebete am Mittagstisch. Soziale Abgründe und Kriminalität. Schulbildung und Schweissmaschinen. “I call you back” und “Germans are too much clever”. Eine Million Sawubonas und Unjanis. Zeckenbissfieber, keine Malaria. Das deutsche „Leben, um zu arbeiten“ vs. das südafrikanische „Arbeiten, um zu leben“. Die Kunst, das Leben locker zu nehmen. TIA (This is Africa). Der harte Sprung ins kalte Wasser. Der nächste Schritt.

Hier die Bilanz nach zwölf Monaten.

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Arbeit √

Wir sind immer noch Deutsche. Tatsächlich merken wir hier viel stärker, wie deutsch wir tatsächlich sind. Und weil das so ist, ist uns Arbeit wichtig. Julias Job ist es, Struktur in die täglichen Abläufe eines Kinderheims zu bringen. Nach zwölf Monaten hat sie viel erreicht: Neue Schichtpläne, langfristige Projekte mit den Kindern, bessere Arbeitsbedingungen. Aber sie muss sich auch oft in Geduld üben und akzeptieren, dass Dinge bleiben, wie sie sind, auch wenn sie nicht unserem Verständnis von Effizienz entsprechen. Dasselbe gilt für Daniel, der zwei Tage die Woche auf der Missionsstation arbeitet und dort inzwischen eigene Aufgaben hat, etwa ein Computer- und ein Fotoprojekt. Den Rest der Zeit verbringt er mit kreativem Schreiben, Artikeln für deutsche Auftraggeber, der Entwicklung von Homepages und Öffentlichkeitsarbeit – und mit einem Engagement als Tennistrainer.

Lean √

Unser Sohn Lean ist hundertprozentig in Südafrika angekommen. Er ist jetzt viereinhalb, spricht beinahe fliessend Englisch, hat einen Haufen neuer Freunde und läuft den ganzen Tag barfuss herum. Er spielt Tennis und Rugby, hat vor kurzem sein erstes Surfbrett bekommen, liebt Angeln und geniesst die Wochenenden am Meer. Manchmal sammelt er auch Golfbälle im Garten. Auf den Kindergarten freut er sich jeden Morgen, und nachmittags ist er mit seiner Nanny Buyi unterwegs. Dann trifft er auf seinen Touren im Naturschutzgebiet manchmal eine Schlange, sogenannte „Lachvögel“ oder einen Hirsch.  Vom Münchner Stadtkindl zum südafrikanischen Landburschen in Rekordgeschwindigkeit.

Freizeit √

KwaZulu-Natal ist eine versteckte Perle. Einsame Strände und Südseefeeling à la „Robinson Crusoe“, Wanderwege und Bergmassive wie in „Herr der Ringe“, wilde Tiere in Nationalparks, Höhlenmalereien aus früheren Epochen, historische Kriegsschauplätze zwischen Zulus und Briten – oder, wenn man will, auch das Grossstadtfeeling einer Metropole wie Durban. All das kann man von Eshowe aus in weniger als zwei Stunden erreichen. Nach einem Jahr gehen wir immer noch jedes Wochenende auf Entdeckungstour. Aber es gibt natürlich auch Kehrseiten: wir checken täglich im Internet, ob eine der vielen gewalttätigen Demonstrationen und Strassensperren in unserer Naehe stattfinden und die Abende müssen wir fast immer zuhause verbringen. Restaurants, Kneipen, Kinos oder ähnliches gibt es kaum, weil man bei Dunkelheit nur in seltenen Fällen das Haus verlässt. Uns stört das (bisher) nicht so sehr. Aber für Nachtschwärmer wäre das Leben auf dem südafrikanischen Land eher ungeeignet.

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Soziale Integration √

Unglaublich. Nach einem Jahr fühlen wir uns, als ob wir den ganzen Ort Eshowe seit Jahren kennen. Wir haben in beiden Welten neue Freunde gefunden – leider ziemlich getrennt, denn Schwarz und Weiss bleiben im Alltag meist unter sich. Nur bei den Kindern stimmt die Mischung, in Leans Kindergarten sind alle Hautfarben vertreten. Durch die Arbeit in Mbongolwane verbringen wir viel Zeit mit Zulus. Aber wir haben auch die englischstämmigen und burischen Südafrikaner schätzen gelernt, die uns unglaublich offen und freundlich begegnen. Vielleicht liegt es daran, dass wir als einzige Europäer vor Ort eine Attraktion sind. Sicherlich hat es aber auch damit zu tun, dass Beziehungen hier die wichtigste Währung sind. Wo ein Deutscher sein Konto und seine Hobbies pflegt, investiert ein Südafrikaner in Netzwerke und Freundschaften.

Und sonst so? √

Hm, ja. Der Alltag hat uns eingeholt, da ist Südafrika auch nicht anders als Deutschland. Obwohl, ein paar Dinge gibt’s schon noch. Wenn jemand am Telefon „I call you back“ sagt, kann das bedeuten, dass er morgen, nächsten Monat oder nie mehr zurückruft. Im Supermarkt findet man fast alles, nur bei Tee (nur Schwarz und Rooibos) und Gemüsebrühe wird’s eng. Dafür haben wir kürzlich Münchner Weissbier gefunden (leider alkoholfrei). Ansonsten: Es geht humorvoll zu, immer und überall. Eine Nonne bei 40 Grad im Schatten: „I think, God is frying us like Kentucky Fright Chicken.“ Oder die wunderbaren Ausreden eines Verkäufers, der uns ein Buch besorgen sollte: Angeblich hat er es seiner Frau mitgegeben, die es in einem Klassenzimmer vergessen hat, das kurz darauf von einem Rohrbruch überflutet wurde. Noch was? Die Qualität der Autofahrer in Südafrika ist unterirdisch, was daran liegen könnte, dass man seinen Führerschein nach einer Runde auf dem Übungsplatz gleich mitnehmen kann. Die ländlichen Strassen sind von Potholes übersät, die alle paar Wochen ausgebessert werden und eine Woche später wieder offen sind. Dafür ist das Wetter ziemlich gut. Momentan ist Winter, 25 Grad. Es ist ein Jahr später. Wir haben immer noch kein Heimweh.

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Text & Fotos: fuexxe

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