Dies ist die Geschichte einer besonderen Frau, die wir in unserer Zeit in Afrika kennen lernen durften. Nun ist sie nach Deutschland zurückgekehrt – und hinterlässt in Mbongolwane eine riesige Lücke.
Im Büro im Kinderheim hängt immer noch ihr Lieblingswitz an der Wand. „Ich mag Schokolade“, sagt eine Figur in viel zu engen Klamotten, „Aber sie lässt meine Kleider eingehen!“ Schwester E. hat in ihrem Leben viel Schokolade in den Taschen gehabt, Bonbons und Süßigkeiten aller Art. Allerdings waren die Leckereien nie für sie selbst. Sie lebte für die Anderen: Die Kinder von St. Joseph, die Kranken, Schwachen, Ausgegrenzten. Ihr Lebensstil war spartanisch, mit Löchern in den Schuhen, ohne Eigentum und Macht. Sie mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, und beim Abschied sagte sie: „Ach, Tränen, die nützen doch niemandem was.“ Sie war ein Vorbild an Demut, und sie hatte einen wunderbaren Humor: Trocken, hintergründig, oft weise. Ihr spitzbübisches Lächeln half ihr, den täglichen Wahnsinn in Afrika 58 Jahre lang auszuhalten – und die Welt um sie herum besser zu machen.
Konrad Adenauer und John F. Kennedy
Als sie 1961 im Zululand ankam, wurde in Deutschland die Mauer zwischen Ost und West gebaut. Konrad Adenauer war Kanzler, in den USA kam Präsident John F. Kennedy an die Macht. Unsere Eltern waren Teenager. In Südafrika herrschte Apartheid, doch Schwester E. sah keine Hautfarben, sondern Menschen. Sie arbeitete als Krankenschwester im Hospital, mit den Ärmsten der Armen, mehr als zwanzig Jahre lang. Dann gründete sie mit drei Mitschwestern ein Kinderheim – aus dem Nichts. „Im Krankenhaus haben wir oft Kinder versorgt, die vernachlässigt oder misshandelt wurden“, erzählt sie. „Aber es gab keinen Ort, an den wir sie bringen konnten.“ Die weiße Schwester aus Franken wurde zum Vorbild, mitten in Afrika. Für ihre Mitschwestern, für hunderte Zulu-Kinder, die sie großzog, für den besten Arzt in der Gegend, gerade halb so alt wie sie, der sie „meinen Engel“ nannte. Und für Julia und mich.
„Ich kann nicht klagen“
„Sister, amaswidi, please“, schrien die Mädchen und Jungen, wenn sie um die Ecke bog. „Süßigkeiten, bitte, bitte!“ Tief in ihren Taschen fand sie immer eine Kleinigkeit, um einen Moment Freude zu schenken. Vor allem aber schenkte sie den Kindern, die sonst nichts hatten, ein sicheres Zuhause. Als sie im vergangenen Jahr 90. Geburtstag feierte, war sie noch immer täglich im Kinderheim zu finden. „Mir geht es nicht schlecht“, sagte sie immer. „Ich kann nicht klagen.“ Ihre Lieblingsblume, die Königin der Nacht, blühte einmal pro Jahr an den Kirchenmauern, nur für sie. Sie liebte Kaffee und Kuchen, sah eine Million Stampftänze und trocknete eine Milliarde Tränen. Für Julia wurde sie im Zululand zur wichtigsten Gefährtin, Freundin, Oma, Zuhörerin, Ratgeberin, Schwester. Die beiden überwanden 50 Jahre Altersunterschied und verbrachten die Tage in stiller Zuneigung. „Was würde unser Kinderheim nur ohne Dich machen?“, schrieb sie einmal in einem Brief an Julia. Eine Frage, die in beide Richtungen funktioniert.
Rückkehr nach Oberzell
Nach fast 60 Jahren Afrika fängt mit ihrer Rückkehr ins Kloster Oberzell ein neues Kapitel an – der Lebensabend im Kreise ihrer Mitschwestern, den sie sich gewünscht hat. In Mbongolwane hinterlässt sie eine Lücke, die niemals geschlossen werden kann. Noch immer scheint ein Alltag ohne Schwester E. unmöglich; sie ist allgegenwärtig, in jedem Winkel der Missionsstation. Schwester E. hat ein unscheinbares Leben geführt, am Ende der Welt, an der Seite derer, die sonst niemanden haben. Ihr Erbe bleibt. Am besten beschreibt ihr Wirken ein Gebet des heiligen Franz von Assisi, der den Franziskanern und Franziskanerinnen ihren Namen gibt.
„Lord, make me an instrument of Your peace.
Where there is hatred, let me sow love.
Where there is injury, pardon,
where there is doubt, faith,
where there is despair, hope,
where there is darkness, light,
and where there is sadness, joy.“
Text & Fotos: fuexxe