Das Klischee ist allgegenwärtig: Südafrika ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. Doch wie fühlt sich das im Alltag an? Ein paar Geschichten aus Sicht einer europäischen Familie.
Kürzlich fuhren wir an einem Samstag ans Meer. Ein abgelegener Strand in Dokodweni, an dem man einen wunderbaren Tag am Meer verbringen kann. Ein Geheimtipp unter jungen Zulus, die 95 Prozent der Besucher ausmachen, dazu ein paar indische Familien. Eigentlich ist immer viel los. Im Schatten der Bäume wird Bier getrunken, riesige Gruppen sitzen beim Braai, es wird laut Musik gehört und getanzt. Die Atmosphäre ist freundlich, aber wir kennen auch Leute, die sich nicht hierher trauen.
Nach etwa einer Stunde kam ein junger, muskulöser Mann auf uns zu und fragte, ob uns der graue SUV aus Eshowe gehören würde. Wir bekamen einen Riesenschreck, in den ersten Sekunden liefen Horrorfilme vor dem inneren Auge ab. Was war passiert? Der Mann hatte ein Auto entdeckt, bei dem eine Hintertüre komplett offen stand. Hausschlüssel, Magnetkarten, Gepäck, ein wenig Geld – alles lag frei zugänglich im Auto herum, weil wir zu blöd waren, die Türe richtig zuzumachen. Der junge Mann hatte gewartet, ob der Besitzer zurückkommen würde, und dann herumgefragt, wem das Auto gehört. Nebenbei passte er auf, dass niemand die Situation ausnutzt. Einfach so. Mitten in Südafrika.
Südafrika hat zwei Seiten. Die eine ist weit über die Grenzen hinaus bekannt, und sie zeigt die hässliche Fratze von Gewalt und Kriminalität. Bisher haben wir keine gefährliche Situation erlebt, aber es stimmt, das Thema ist allgegenwärtig. Bei Bekannten wurde eingebrochen, in der Stadt wurde kürzlich ein Supermarkt überfallen, selbst Berichte über Drogengeschäfte, Schiessereien und Morde sind keine Seltenheit.Wir wohnen auf dem Land, hier ist die Situation längst nicht so schlimm wie in grossen Städten. Unser Haus ist nicht von Stacheldraht umgeben und wir haben keinen Nachtwächter – aber es gibt ein bewachtes Tor, durch das wir jeden Tag fahren.
Wir bekommen Whatsapp-Warnungen, wo man wegen Strassensperren besser nicht unterwegs sein sollte, eine Facebook-Gruppe heisst “Eshowe Community Crime Watch”. In den allermeisten Fällen spielen sich gefährliche Situationen in den Armenvierteln ab – und die Opfer sind Menschen, die kaum mehr haben als ihre Angreifer. Hier auf dem Land sind auch häufig Polizisten oder Sicherheitskräfte involviert. Aber: Auch in Heidenheim oder Lindau passieren schlimme Dinge. In Südafrika ist allerdings die Frequenz deutlich höher, das muss man zugeben.
Die andere Seite von Südafrika sind die 99 Prozent der Menschen, die freundlich und aussergewöhnlich hilfsbereit sind. Wir könnten fast jeden Tag eine Geschichte erzählen, bei der wir etwas Gutes erlebt haben. Gleichzeitig muss man sich an ungeschriebene Regeln halten: Im Dunkeln sind Ausflüge tabu, keine Wertgegenstände offen zeigen, Menschenmengen meiden, nie Anhalter am Strassenrand mitnehmen, sich von Betrunkenen fernhalten. Vor allem aber: Keine Angst haben. Sich bewusst machen, dass es absolute Sicherheit nicht gibt. Und verstehen, wo die Gewalt herkommt. Während der Apartheid gehörte Gewalt für die Menschen zum Alltag. Und auch heute, über 20 Jahre später, lebt die Hälfte der Südafrikaner unter der Armutsgrenze. Und übrigens: Die grösste Gefahr im Alltag liegt ganz woanders, nämlich im Strassenverkehr. Nirgends passiert mehr – und trotzdem verlässt man jeden Morgen wieder das Haus.
Es gibt vieles, das uns jeden Tag zu denken gibt und das eigene Handeln beeinflusst. Trotzdem leben wir gerne hier. Es kommt, wie immer, auf die Perspektive an. Kürzlich sagte ein Bekannter zu uns: “I know, there are many problems in South Africa. But this is still the best place to live in the world!”
Text & Fotos: fuexxe