Südafrika ist das Land mit den meisten HIV-Infizierten weltweit. Jährlich sterben noch immer mehr als 100.000 Menschen an AIDS. Trotzdem ist die Krankheit im Zululand noch immer ein Tabu.
Wir sassen am Strand in Mozambique, als Julias Handy summte. Eine Nachricht ihrer Chefin aus Südafrika in den Urlaub. „I have bad news“, schrieb sie. „Sbamba died in the hospital yesterday.“ Ein Arbeiter auf der Missionsstation war überraschend gestorben. Die genauen Umstände blieben unklar, aber die Ärzte vermuteten, dass mit Batteriesäure gemischtes Zulubier in Verbindung mit HIV-Medikamenten die Ursache für seinen Tod gewesen war. Sbamba brach betrunken zusammen und starb kurze Zeit später im Krankenhaus. Im Alter von 45 Jahren. Er hinterließ eine Frau und drei Kinder.
Ich hatte viel Zeit mit Sbamba verbracht, weil wir gemeinsam den Raum für mein Computerprojekt renoviert hatten. Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte er mehrere Stunden damit verbracht, unser Auto von einem riesigen Stein zu befreien, auf den Julia aufgesessen war. Er gehörte zum Inventar der Missionsstation: Ein spindeldürrer, gut gelaunter, leicht schwankender Mann, der für jeden ein freundliches Wort übrig hatte. Er war der Schlangenjäger von St. Joseph, erledigte mit seiner Steinschleuder grüne Mambas und verkaufte ihre Haut an den lokalen sangoma (Medizinmann). Wenn er Julia sah, strahlte er und rief „udokotela jalimane wami“ („meine deutsche Ärztin“), weil sie ihm manchmal Schmerztabletten aus unserem Vorrat gab, wenn seine Krankheit ihn nicht schlafen ließ. Sein Tod nahm uns mit. Nicht nur, weil wir ihn gut kannten. Sondern weil sein Schicksal beispielhaft für HIV in Südafrika ist.
Jede zweite Frau mit HIV infiziert
Eigentlich müsste dank moderner Medizin niemand mehr an HIV sterben. Trotzdem bleibt das Virus in Südafrika tödlich: Mehr als sieben Millionen Infizierte im Jahr 2016, über 110.000 AIDS-Tote. In KwaZulu-Natal tragen rund ein Viertel der Erwachsenen das Virus in sich. Zwischen Eshowe und Mbongolwane haben laut einer Studie von Ärzte ohne Grenzen sogar 56 Prozent der Frauen zwischen 30 und 40 Jahren HIV im Blut. Man muss sich das bildlich vorstellen: Jede zweite Frau, die an Dir vorbei läuft, leidet an einer tödlichen Krankheit. Auch einige der Kinder in St. Joseph sind HIV-positiv. Entweder wurden sie mit dem Virus geboren, oder sie haben sich über die Muttermilch infiziert. Im Krankenhaus bekommen sie kostenlos die nötigen Medikamente, genau wie alle anderen HIV-Kranken in Südafrika. Trotzdem sterben Menschen wie die Fliegen. Viele nehmen ihre Pillen falsch oder gar nicht ein. Andere vertrauen uneingeschränkt den sangomas: Eine Mitarbeiterin im Nähcenter starb, weil starke Kräuter die Wirkung ihrer Medikamente aufhoben. Oft scheitert es aber auch am Unwissen oder der Bereitschaft, sich überhaupt testen zu lassen. Die Stigmatisierung der Krankheit bei Familie und Freunden ist riesig.
Duschen gegen HIV
Es ist kaum möglich, sich mit Zulus offen über HIV zu unterhalten – das macht auch die öffentliche Aufklärung so schwierig. Besonders in ländlichen Gebieten wollen viele Menschen nicht an das Virus und seine tödliche Wirkung glauben. Auch die Politik versagt in ihrer Vorbildfunktion kläglich. Südafrikas früherer Staatspräsident Jacob Zuma, ein Zulu, verkündete einmal öffentlich, er könne sich durch Duschen nach dem Sex vor HIV schützen. Das sagt viel über seine Person aus, ist aber auch ein Beispiel für männliches Verhalten innerhalb der Zulu-Kultur. Verhütung ist verpönt. Je mehr Nachkommen ein Mann zeugt, umso höher sein Ansehen. Aufklärung über eine sexuell übertragbare Krankheit, Kondome und geschützter Sex haben in diesem Weltbild keinen Platz. Stattdessen hat sogar die hohe Zahl der Vergewaltigungen im Zululand indirekt mit HIV zu tun. Das Gerücht, Sex mit Jungfrauen könne Infizierte heilen, hält sich seit Jahren hartnäckig.
Jedes halbe Jahr eine Atombombe auf Südafrika
Inzwischen laufen wir mit anderen Augen durch die Welt. Eingefallene Wangen sind ein Indiz für HIV – und wenn man die Augen öffnet, findet man sie überall. Auch Tuberkulose, in dieser Gegend weit verbreitet, tritt häufig in Verbindung mit HIV auf. Menschen sterben, ständig und überall. Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 2017 hat die Krankheit in Kontext zu anderen Katastrophen gestellt: Alle sechs Monate tötet AIDS in Südafrika so viele Menschen wie die Atombombe von Hiroshima. Pro Monat sterben mehr als dreimal so viele Kranke an den Folgen von HIV wie bei den Anschlägen des 11. September. Der Unterschied ist: Kaum jemand redet darüber. Nicht außerhalb von Südafrika, und erst recht nicht im Zululand.
Text & Fotos: fuexxe/United Nations Photos
2 Comments, RSS