Unser Abschied ist erst einen Monat her, aber unsere langjährige Heimat ist nicht mehr dieselbe. Eine Welle der Gewalt ist über Eshowe und Südafrika hereingebrochen. Eine Geschichte über eine Stadt im Kriegszustand.
Eigentlich sollte hier ein finaler Blogeintrag über unseren Abschied aus Südafrika stehen. Die Wochen davor und danach waren turbulent und schwierig, und mit ein wenig Abstand wollten wir darüber berichten – und werden es auch noch tun. Aber dann, während wir das Finale der Fußballeuropameisterschaft sahen, erreichten uns plötzlich alarmierende Nachrichten aus Südafrika. Diese Nachrichten waren der Auftakt zu einer Arie der Gewalt, die in die Geschichtsbücher des Landes eingehen wird. Tagelang lebten die Bewohner von Eshowe und vielen anderen Städten in KwaZulu-Natal und Gauteng in Sorge um ihr Leben und ihren Besitz: Schüsse, Rauchschwaden, brennende Läden, marodierende Plünderer und bewaffnete Bürgerwehren prägten das Bild. Erst als das Chaos vorbei war, folgten Bilder der Versöhnung. Aber der Reihe nach.
Die erste Nacht der Zerstörung
Die Atrium-Mall in Eshowe ist relativ neu. Nach Jahrzehnten der Unscheinbarkeit wurde sie im vergangenen Jahr zum Einkaufsmagneten für die gesamte Umgebung. Freunde von uns betreiben dort ein Café, andere den Liquor Store, in dem man Wein und Spirituosen kaufen kann. In der ersten Nacht, als plötzlich ein Mob wütender Menschen über die Stadt herfiel, wurde dieser Einkaufstempel als Erstes angegriffen. Hunderte Vermummte, die meisten davon junge Männer, schlugen Scheiben ein und plünderten Lebensmittel, Kleidung und Alkohol. Anschließend griff die wütende Meute weitere Supermärkte und Läden in der Nähe an, auch der lokale SPAR wurde zerstört. Sicherheitskräfte und Polizei waren zahlenmäßig so unterlegen, dass sie tatenlos zusehen mussten. Und als morgens die Sonne aufging und alle hofften, es wäre vorbei, ging es erst richtig los.
Horrormeldungen im Minutentakt
Einige unserer besten Freunde sind Farmer. In der zweiten Nacht marschierte ein Mob auf ihr Haus zu; sie mussten in aller Eile Koffer packen und mit ihren vier Kindern über die nahegelegenen Bahngleise fliehen – erst später schaffte es ein Vorarbeiter, die Angreifer davon zu überzeugen, die Farm nicht zu plündern. Andere mussten mit ansehen, wie tausende Tonnen Zuckerrohr auf ihren Feldern niedergebrannt und ganze Ernten zerstört wurden. Die meisten schwankten zwischen dem Impuls, mit Waffengewalt ihr eigenes Hab und Gut zu verteidigen – und dem Unglauben, dass so etwas in ihrem Land tatsächlich möglich ist. Mit jeder Stunde kamen schlimmere Nachrichten bei uns an: Supermärkte und Lagerhäuser, in denen wir oft eingekauft hatten, wurden geplündert und bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die von Präsident Cyril Ramaphosa zu Hilfe gerufene Armee schaffte es nicht sofort nach Eshowe – und so hörten die Szenen der Gewalt und die Angst, die wir mitbekamen, über Tage hinweg einfach nicht auf.
Angriff auf die Demokratie
Wie das Ganze so eskalieren konnte, weiß niemand genau. Alles begann als politischer Protest gegen die Inhaftierung des Ex-Präsidenten Zuma, der unter Verdacht steht, in hunderte Fälle von Korruption und Vergewaltigung verstrickt zu sein. Zuma ist ein Zulu, seine Heimat ist KwaZulu-Natal, und Eshowe liegt im Herzen des Zululands. Als gesichert darf wohl gelten, dass im Umfeld von Zuma Kräfte am Werk waren, die die Unruhen befeuert und angetrieben haben. Präsident Ramaphosa selbst sprach von einem versuchten Staatsstreich, einem Angriff auf die Demokratie. Die Hoffnung der Hintermänner lag offenbar darin, dass die Gewalt immer weiter eskalieren und immer mehr Menschen auf die Straßen treiben würde, die sich gegen die Regierung auflehnen. Tatsächlich trafen die Tage des Zorns eine geschwächte Nation: Die Corona-Pandemie und damit verbundene Lockdowns haben die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter vergrößert als zuvor. Auf dem Höhepunkt der Aufstände beteiligten sich in KwaZulu-Natal auch viele der Ärmsten an den Plünderungen und schleppten alles aus den zerstörten Läden, was sie tragen konnten.
Grauenhafte Dystopie
Und wir? Mussten aus der Ferne, dem sicheren Deutschland, zusehen, wie unsere Freunde eine totale Dystopie erlebten: Schwarze Rauchschwaden, Pistolenschüsse im Minutentakt, plündernde Horden, Angst um die eigene Sicherheit. Per Social Media zitterten wir mit, als auf dem Höhepunkt der Aufstände sogar eine Mauer des Golf Estates, auf dem wir sechs Jahre unseres Lebens verbracht haben, eingerissen wurde. Der Mann einer Freundin bekam in seinem Garten eine verirrte Kugel ab, gottseidank nur ein Streifschuss. Auch das Gelände der Kirche und des Schwesternkonvents liegt mitten in der Stadt; dort verbrachten die Schwestern furchtbare Tage mitten im Zentrum der Aufstände. Erst nach einigen Tagen beruhigte sich die Szenerie, auch, weil die Bürger selbst aktiv wurden. Sie organisierten sich, fuhren Patrouille und bewachten Städte und Gebäude, oft am Rande der totalen Erschöpfung. Als der Präsident 25.000 Soldaten in die betroffenen Provinzen entsandte, beruhigte sich die Lage weiter. Am Ende zählte Südafrika 337 Tote, in mehr als 200 Fällen ermitteln die Behörden wegen Mordes.
Nach dem Chaos: Szenen der Hoffnung
Wie es weitergeht, steht in den Sternen. Als sich die Lage beruhigte, entstanden inmitten des Chaos auch Szenen der Hoffnung. Menschen aus allen kulturellen Hintergründen taten sich zusammen und starteten Aufräumaktionen in den Städten, Schwarze, Weiße, Coloureds und Inder Seite an Seite. Auch der befürchtete Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung und Lieferketten ist vorerst ausgeblieben, und via Social Media angekündigte weitere Angriffe auch. Doch die Wurzel des Problems besteht weiter: Armut, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Rassenhass. Auch die Tatsache, dass Polizisten teilweise selbst an den Plünderungen beteiligt waren, wird bei der Bewältigung des Traumas nicht helfen. Ob die Verantwortlichen wirklich – wie es Präsident Ramaphosa angekündigt hat – zur Rechenschaft gezogen werden können, ist ebenfalls fraglich. Die Wunden dieser Tage des Zorns sitzen tief, bei allen, die sie hautnah miterleben mussten.
Text: fuexxe, Photos und Videos: Whatsapp/Social Media
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