Wer das Leben in Südafrika beobachtet, könnte denken, das Corona-Virus sei besiegt. Dabei steigen die Zahlen Tag für Tag schneller.
Seit vergangener Woche geht unser Sohn Lean wieder zur Schule. Zunächst hieß es, er müsste mindestens bis Juli warten, aber dann ging plötzlich alles ganz schnell. An manchen Schulen sind seit dieser Woche alle Klassen zurück in den Klassenzimmern. Anderswo werden nur einzelne Jahrgangsstufen unterrichtet. Manche Schulen – speziell auf dem Land – sind überhaupt nicht vorbereitet und lassen sich Zeit mit der Öffnung. Und dann gibt es diejenigen, die schon wieder schließen, weil es begründete Verdachtsfälle von Covid-19 gibt.
Leben in Südafrika: Not schlägt Vorschriften
Südafrika ist vier Monate nach dem ersten Corona-Fall ein Fleckenteppich geworden: Jeder entscheidet selbst, wie er sich verhält – obwohl die offiziellen Regeln weiterhin in Kraft sind. Noch immer befinden wir uns im Level 3 des Lockdowns, aber wenn man sich umsieht, kann man das kaum glauben. Die Stadt ist voll wie selten zuvor, die Händler am Straßenrand sind zurück, der illegale Zigarettenhandel blüht, Social Distancing bleibt ein Fremdwort. Überall finden die Menschen Wege, um Vorschriften möglichst unauffällig zu umgehen – ob Versammlungsverbot oder Maskenpflicht. Allerdings bleibt den meisten auch keine andere Wahl: Sie müssen auf die Straßen, die Zuckerrohrfelder und in die Fabriken, um Geld zu verdienen. Die Not ist größer als die Angst, sich mit einem unsichtbaren Virus anzustecken.
Das Prinzip Lockdown funktioniert in Afrika nicht
Afrika ist nicht Europa, und Südafrika ist nicht Deutschland. Lockdowns funktionieren nur, wenn es sich die Menschen leisten können, zu Hause zu bleiben. Wenn der Staat bereitsteht, um wirtschaftliche Folgen zumindest teilweise aufzufangen. Auf dem afrikanischen Kontinent, wo Armut weit verbreitet ist, funktioniert das Prinzip des Lockdowns nicht: Wer nicht rausgeht und arbeitet, kann kein Essen mehr kaufen. Diese Gefahr ist realer als jeder tödliche Virus, das hat auch die Regierung unter Präsident Cyril Ramaphosa erkannt. Vor kurzem warnte er noch, dass alles erst einmal schlimmer werde, bevor es besser wird. Trotzdem lockert die Regierung die Beschränkungen im Alltag immer weiter, um einen wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden – obwohl die Zahlen rasant steigen.
Corona rückt näher
Inzwischen gibt es weit mehr als 100.000 Infizierte, der Höhepunkt wird im Juli erwartet. Pro Tag kommen rund 5000 neue Fälle hinzu, 50 mal so viel wie in den Wochen des strengen Lockdowns. Noch wirkt die Gefahr weit weg, weil kaum jemand Leute kennt, die infiziert sind und schwere Verläufe der Krankheit erleben. Aber das Virus rückt näher. Zuerst musste der lokale Schlachthof in Eshowe wegen Corona-Infektionen schließen, dann ein Brothersteller, dann einer der größten Supermärkte. Das Verrückte daran ist, dass gleichzeitig eine Welle der Befreiung über das Land schwappt: Die Menschen sind so froh, dass das Land geöffnet wird, dass sie jede Möglichkeit nutzen, um rauszugehen und sich mit Freunden zu treffen.
Die Warnungen vieler Experten verhallen derweil im Wind. „Schlimme Wochen stehen uns bevor“, sagt Wolfgang Preiser, Virologe an der University of Stellenbosch. „Südafrika steuert auf einen verheerenden Sturm zu“, sagt Gesundheitsminister Dr. Zweli Mkhize. Der afrikanische Kontinent könnte das nächste Epizentrum von Corona werden, und Südafrika steht ganz oben auf der Liste.
Text & Photos: fuexxe, GovernmentZA
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