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Letzte Woche haben wir einen illegalen Einwanderer aus Mosambik, Vater zweier Kinder aus dem Kinderheim, 400 Kilometer weit an die Grenze gebracht. Hier ist seine Geschichte.

Im Rückspiegel sehe ich ein Häufchen Elend auf meiner Rückbank. Er war einmal ein junger Mann, 29 Jahre, der vier Sprachen fließend sprach, auf Krücken lief, ein klappriges Fahrrad fuhr und ein breites Grinsen im Gesicht hatte. Der das Leben positiv sah, gegen alle Widerstände. Der mir ans Herz wuchs in den zwei Jahren, in denen ich ihn kannte. Aber dieser Mann ist fast verschwunden. Er ist bis auf die Knochen abgemagert, ein Grashalm im Wind, er hustet tief und dunkel, ab und zu spuckt er Blut in eine kleine Plastikflasche. Ich öffne alle vier Fenster, weil ich Angst vor einer ansteckenden Tuberkulose habe. Warme Luft durchströmt das Auto. Ikxe* versucht zu lächeln und blickt mich aus eingefallenen Augen an. „Ngiyabonga, udokotela jalimane“, sagt er, „Danke, mein deutscher Doktor.“ Ich fahre ihn ins Krankenhaus nach Mbongolwane und hoffe, dass sie seine Schmerzen lindern können. Wieder einmal. Seit Monaten sehe ich zu, wie AIDS den Menschen dahinter langsam auffrisst.


Unerwünschte Gäste

Ikxe hat zwei Kinder, die bei uns in St. Joseph leben. So habe ich ihn kennengelernt: Als Vater meiner Schützlinge im Kinderheim. Die Familie ist ungewöhnlich, weil es keine schlimmen Geschichten zu erzählen gibt. In der Akte steht lediglich: Bittere Armut. Das Schicksal von Flüchtlingen, die im Zululand genau so unerwünscht sind wie überall sonst, aus Mosambik, Simbabwe, dem Kongo oder Nigeria. Fast vier Millionen von ihnen sollen Schätzungen zufolge in Südafrika leben, so wie Ikxe. Als er es vor Jahren mit seiner Frau über die Grenze geschafft hatten, hatten sie Träume. Sie liessen sich im Zululand nieder, bauten eine Hütte aus Stein, ein Wellblechdach, in der Nähe lag eine große Straße. Schon damals hatte er HIV und konnte nur auf Krücken laufen, weil er im Bürgerkrieg in Mosambik angeschossen worden war. Als Illegaler mit Behinderung waren seine Aussichten auf einen Job gering – und Hilfe vom Staat gibt es für Flüchtlinge in Südafrika nicht. Aber das Leben war besser als zuhause. Seine Frau arbeitete den ganzen Tag auf den Zuckerrohrfeldern, um die Familie über Wasser zu halten. Sie konnte sogar ein wenig Geld nach Mosambik schicken. Nur um die Kinder kümmerte sich keiner von beiden, deshalb kamen der Junge und das Mädchen nach St. Joseph. Manchmal besuchte Ikxe sie im Kinderheim, in den Ferien verbrachten die Kinder ein paar Tage bei Mama und Papa. Es waren ihre besten Zeiten als Familie.

Der Anfang vom Ende

Jede Woche brachte ich der Familie Essenspakete von den Schwestern vorbei. Manchmal blieb ich ein bißchen länger und hörte zu, während Ikxes Frau über der offenen Feuerstelle kochte. Sie erzählten, wie die Arbeiter auf der Zuckerrohrfarm ihnen Geld abnahmen, weil sie Flüchtlinge waren und sich nicht wehren konnten. Wie sie bedroht wurden. Ich erklärte, dass sie zur Polizei gehen mussten, oder zum lokalen Chief, aber sie meinten, niemand würde sich für sie interessieren, weil sie nicht hier geboren sind. Je besser ich sie kennenlernte, umso mehr wollte ich helfen. Wir kauften Ikxe ein paar Maschinen als Start für ein kleines Business, um zuhause einfache Schweissarbeiten für Leute aus der Nachbarschaft zu erledigen. Nach einem Sturm halfen wir, weil ihr Dach abgedeckt war und sie dem Regen schutzlos ausgeliefert waren. Irgendwann wohnte dann auch noch seine Stieftochter mit Baby in der kleinen Hütte; sie war vor ihrem Freund geflohen, der sie monatelang eingesperrt hatte. Von diesem Zeitpunkt an ging es bergab. Es gab Diebstähle, Vertrauensbrüche, falsche Freunde, Gewalt. Die Familie spürte, dass sie es in Südafrika nicht schaffen würde. Immer öfter gab es Ärger. Dann brach das Virus aus, aus HIV wurde AIDS.

Nach Hause

Ich brachte ihn ins Krankenhaus, aber die Ärzte konnten nichts tun. Außer, ihm Medikamente zu geben. Irgendwann hörte er auf zu essen, weil die Nebenwirkungen zu stark waren. Die Kinder durften ihn nicht mehr besuchen; einmal hatte er der gesunden Tochter HIV-Medikamente gegeben, weil sie geschrien hatte. Oft freuten sich die Kinder mehr auf die Autofahrt mit mir als auf den Besuch bei ihren Eltern. Ikxe spürte das. Er sagte: „Ich will nach Hause, nach Mosambik. Aber ich schaffe es nicht mehr.“ Das war vor einigen Wochen. Ich setzte mich mit den Schwestern und der Sozialarbeiterin zusammen und sagte: „Wir müssen ihm helfen.“ Gemeinsam beschlossen wir, ihn an die Grenze zu bringen, ein bißchen Geld zu geben und zu hoffen, dass er es den Weg nach Hause schaffen würde. Es war sein Wunsch, und wir hatten keine bessere Idee. Im Gegenteil. „Wenn er stirbt, werden sie zu uns kommen und nach Geld für die Beerdigung fragen. Besser, wenn er nach Hause geht“, sagte jemand. Letzte Woche trat er den Heimweg an, mitten in der Nacht. Ein Flüchtling auf dem Weg zurück. Seine Frau saß vorn, er lag auf der Ladefläche des Pickups, unerwünschtes Gepäck. Der Traum vom Glück in Südafrika endete an einer Tankstelle nahe der Grenze. Von seinen Kindern, die in St. Joseph geblieben sind, hat er sich nie verabschiedet.

Text & Fotos: fuexxe

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