Die größte Herausforderung an Südafrika ist das Nebeneinander von Arm und Reich. Nach wie vor fällt es uns oft schwer, die extreme Ungleichheit in diesem Land auszuhalten.
Unsere Fernbedienung besitzt zwei Knöpfe. Die römische I, wenn man hinauswill und die II, um wieder nach Eshowe Hills hineinzufahren, wo wir zuhause sind. Eine Grenze zwischen zwei Welten, die wir mindestens zweimal pro Tag passieren, manchmal fünf- oder zehnmal. Unser Haus steht auf einem Golfplatz, mitten in einem Naturschutzgebiet. Keine fenced community mit hohen Zäunen und Überwachungskameras, aber trotzdem ein exponierter Ort. Eigenheime auf großzügigen Grundstücken, blühende Gärten, grüner Rasen. Überall leben Wildtiere und Vögel, es ist sicher und gemütlich. Bei gutem Wetter kann man den Indischen Ozean sehen. Die grellsten Farben stammen von den unzähligen Arbeitern, die in ihren neongelben Westen herumwuseln und das Estate am Leben halten.
Auf der anderen Seite des Tores liegt die Stadt: Hunderte Menschen auf den Strassen, mobile Kliniken, fliegende Händler, Märkte, Geschäfte, fremde Gerüche, buntes Treiben. Hinter der Tankstelle, wo die Strassen brüchig werden, fängt das Township King Dinizulu an. Die Häuser sind klein und eng, die Bevölkerung schwarz. Den ganzen Tag sind Karawanen von Fußgängern unterwegs. Und hinter dem Township? Kommt man relativ schnell into the bush: Ländliche Gebiete fernab der Zivilisation, auf denen weit verstreut viele Menschen leben. Es gibt so gut wie keine Infrastruktur. Die meisten Bewohner sind arm und leben von der Landwirtschaft. Man findet kaum geteerte Straßen, keine Supermärkte oder Geschäfte. Medizinische Versorgung und Schulen sind schlecht. So wie in Mbongolwane.
Die meisten bleiben, wo sie sind
Das Leben in dieser Gegend ist oft vorprogrammiert: Kinder werden in riesige Familien hineingeboren, fünf bis zehn Brüder und Schwestern sind keine Seltenheit. Sie wachsen als Teil eines Familienclans auf, häufig ohne Vater oder ganz ohne Eltern, dafür mit der Großmutter. Und einem Sammelsurium an kulturellen Traditionen. Zwar geht jedes Kind zur Schule, erst Primary School, später High School. Aber auf dem Land sind die Schulen so schlecht, dass selbst die Fleissigsten nur geringe Chancen haben, den Kreislauf ihrer Herkunft zu durchbrechen. Nach dem Abschluss, Matric, endet für viele der Pfad. An der Stufe zum Erwachsenwerden.
Als Mädchen hat man Glück, überhaupt so weit zu kommen: Teenager-Schwangerschaften gehören zum Alltag. Aber auch sonst hat niemand die Mittel, für Ausbildung oder Studium zu bezahlen; Miete, Essen und Transport sind zu teuer. Die meisten bleiben einfach da. Oder ziehen in ein Slum am Rande von Großstädten wie Durban, um dort einen Job zu ergattern. Die soziale Leiter hinauf, in Richtung Mittelschicht, erklimmen die Wenigsten – das Gros der Leute kämpft ums Überleben. Ganze Clans leben von staatlicher Unterstützung: Die Grannies bekommen meist eine kleine Sozialrente, auch Kindergeld, Waisenrente, Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung gibt es. Allerdings alles auf niedrigstem Niveau. Die Armen bleiben in der Regel arm. Zum Leben haben sie zu wenig, zum Sterben zu viel.
Am Monatsersten wird die Armut sichtbar
Am Monatsersten wird das alles sichtbar: Eshowe quillt über vor Menschen, die aus dem Umland anreisen, um ihre staatliche Renten abzuholen. Vor Geldautomaten bilden sich Schlangen von hunderten Metern, quer durch die Stadt – ein trauriges Zeugnis der Ungleichheit. Teilweise warteten die Menschen den kompletten Tag, um ihr spärlich gefülltes Konto zu plündern. In Supermärkten herrscht Hochbetrieb, auch liquor shops verzeichnen Rekordeinnahmen. Den Luxus, Geld zu sparen, kann sich niemand leisten – es gibt immer Familie, Freunde, Nachbarn, die Unterstützung brauchen. Die afrikanische ubuntu-Kultur (etwa: Jeder ist Teil eines Ganzen) zwingt viele Südafrikaner, nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen um einen herum zu versorgen. Leans Nanny zum Beispiel gibt die Hälfte ihres Lohns ab, um die Ausbildung ihres Bruders zu bezahlen. Außer ihrer Mutter ist sie die Einzige, die Arbeit hat.
So stehen wir jeden Tag vor schwierigen Entscheidungen. Wen nehmen wir im Auto mit? Welche Familie, welche Bekannten unterstützen wir? Wie oft gibt man dem Jungen mit den zerrissenen Kleidern ein paar Münzen? Kauft man seine Lebensmittel auf der Strasse, um die Leute vom Land zu unterstützen? Manchmal ist es schwer, mit den Herausforderungen zwischen den Welten zu leben. Man stumpft ab gegen Bettler und Obdachlose, Parkplatzwächter und Autowäscher, die auf der Suche nach ein paar Münzen am liebsten bei Menschen mit weisser Haut die Hand aufhalten. Man muss es sogar, denn es ist nie genug. In Mbongolwane kennt uns inzwischen jeder, wir werden für unsere Arbeit geachtet und mit einem Lächeln begrüßt. Anderswo sind wir nur Menschen mit weißer Haut, die Geld haben. Dann ist es schwieriger.
Text & Fotos: fuexxe