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Schon verrückt: Wir leben seit drei Jahren in Südafrika und haben für drei weitere verlängert. Fünf Gründe, warum dieses Abenteuer die beste Entscheidung unseres Lebens war – und ihre Kehrseiten.

1. Leben im Chaos

Jeden Tag erleben wir Dinge, die es wert sind, morgens aufzustehen. Das Leben in Afrika ist nie grau, sondern immer bunt. Freude, Leid, Luxus, Armut, Sonne, Regen: Alles passiert gleichzeitig. Dieses ständige Chaos übt eine riesige Anziehungskraft aus. Vor einigen Wochen gab es einen Tag in Mbongolwane, der den African way ganz gut beschreibt: Zwei neue Kinder im Heim, keine Papiere, Telefon abgestellt, Fernseher kaputt, Waschmaschine kaputt, kein Sprit mehr, Umweg auf eine Farm, Benzin geschnorrt, alten Mann kennengelernt, Kontakt geknüpft – und ein paar Tage später eine Wagenladung voller Avocados als Spende bekommen. Nichts davon war abzusehen, alles hat sich spontan ergeben. Das lernen wir hier: Einerseits ständig Brände löschen, andererseits cool bleiben und akzeptieren, wenn es mal nicht mehr weitergeht. Jeder Tag ist ein kleines Drama, manchmal mit Happy End, manchmal mit Katastrophen. Und doch geht jeden Tag wieder die Sonne auf.

Dieses ständige Chaos erzeugt allerdings oft genug auch großen Frust. Während ich dies schreibe, fällt mal wieder der Strom aus. Sinnbildlich fällt eigentlich ständig und überall alles aus, in Ämtern, Banken, beim Friseur, im Straßenverkehr und beim Teammeeting. Niemand hat im Zululand den Anspruch, dass etwas perfekt laufen müsste. Abmachungen und Pläne gibt es durchaus, aber es hält sich halt niemand daran. Ständig ist alles irgendwie kaputt, der Alltag besteht aus kleinen Momenten des Scheiterns. Beispiel gefällig? Seit mehr als eineinhalb Jahren versuchen wir, beim Department of Transport eine Genehmigung für Straßenschilder zu bekommen, damit Besucher endlich unser Kinderheim finden können. Jede Woche rufen wir wieder an und fragen nach. Jede Woche gibt es eine andere Ausrede, warum es dieses Mal leider nicht klappt mit den Papieren. TiA. This is Africa for you! Just deal with it!

 

  

2. Abenteuerland

Kaum zu glauben, dass niemand auf der Welt diese Gegend kennt. Das Land der 1000 Hügel ist einfach nur wunderschön: Wir leben in einem tollen Haus, umringt von Zuckerrohrfeldern und Urwald, Meer und Bergen. Der Strand liegt eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt, Nationalparks mit Löwen und Elefanten knapp zwei Stunden. Wir haben Wale und Delfine vom Ufer aus gesehen, sind in Mosambik an Südseestränden geschnorchelt und haben eineinhalb Meter lange Doraden im Meer gefangen. Das Klima ist einzigartig, sonnig und warm am Tag, kühl und frisch, wenn der Abend anbricht. Momentan herrscht tiefster Winter, trotzdem hat es tagsüber 30 Grad. Was will man mehr?

So schön es hier ist, so gefährlich ist es leider auch. Noch immer haben wir keine mulmige Situation erlebt, aber die Abstände zwischen Katastrophen in unserem Umfeld werden kürzer. Die Kriminalität ist jederzeit spürbar, fast jede Woche hören wir irgendeine Geschichte, es liegt immer Spannung in der Luft. Kürzlich war die Straße komplett gesperrt, als wir von Freunden nach Hause fahren wollten: Reifen, Zuckerrohrfelder und Farmen brannten lichterloh. Wir mussten umkehren und dort übernachten. Nachts können wir nirgends herumlaufen, weil es zu gefährlich ist, und wir müssen im low profile unterwegs sein, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Abends einfach so durch die Stadt schlendern? Das vermissen wir wirklich.

3. Brücken bauen

Nach drei Jahren im Zululand sind wir in unterschiedlichen Milieus voll integriert: Die christliche Gemeinschaft der Schwestern. Die schwarze, traditionelle Zulu-Umgebung in Mbongolwane. Die weiße Community von Eshowe. Ohne Netzwerk kann man an diesem Ort nicht überleben. Das Besondere in unserem Fall ist, dass wir mit allen Kulturen gleichermaßen interagieren – und immer wieder Brücken zwischen ihnen bauen. Aus Deutschland werden wir oft gefragt, ob wir das Gefühl haben, dass unser Einsatz in Afrika etwas nützt. Die Antwort lautet: Ja! Die Welt verändern, das können wir hier nicht. Aber lokal hinterlassen wir Spuren. Das spürt man nicht nur bei der Arbeit mit den Kindern im Heim, sondern überall im Alltag. Die Hautfarbe unseres Gegenübers spielt für uns keine Rolle, und dieses Beispiel braucht die gespaltene Gesellschaft in Südafrika.

Natürlich ist das trotzdem nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Von wegen Regenbogennation: Das schwere Erbe der Apartheid reduziert alles in diesem Land auf das Thema race. Die ethnischen Gruppen – Schwarze, Weiße, Inder – leben in getrennten Welten. Umgangsformen, Jobs, Freizeitgestaltung, Rituale, Feiern: Jede Gruppe riegelt ihr Leben hermetisch ab, eine Vermischung findet nicht statt. Negative Details im Alltag (Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption etc.) werden gerne den Anderen in die Schuhe geschoben. Manchmal gibt es Lichtblicke, etwa die Schule unseres Sohnes, wo Kinder aller Hautfarben miteinander lernen. Aber meistens ist die Realität trüb. Und wir müssen damit leben, mehrmals täglich zwischen Armut (schwarz) und Mittelklasseleben (weiß) hin- und herzuspringen.

 

 

4. Kleine Kobolde

Am liebsten würden wir Zulus stundenlang dabei beobachten, wie sie ihren jahrhundertealten Traditionen folgen. Wer als Europäer die spontanen Gesänge, Tänze, Bräuche und Traditionen bei Festen und Zusammenkünften sieht, fühlt sich wie auf einem anderen Planeten. Eine Beerdigung in Mbongolwane ist wie ein Ausflug in die afrikanische Seele: Ein röhrendes Keyboard, endlose Reden, tanzende Gäste, tonnenweise Essen – und viele kleine Katastrophen. Auch sonst sieht und hört man hier Dinge, die die in Mitteleuropa unvorstellbar sind: Opferkulte, geschlachtete Ziegen, tote Vorfahren, die in Gestalt einer Schlange zurück auf die Erde kommen und kleine Kobolde (tokoloshe), die einen im Schlaf überraschen. Alles Humbug? Wahrscheinlich schon. Aber wenn alle um einen herum es glauben, muss man damit umgehen lernen.

Richtig schwer zu ertragen ist allerdings die stoische Teilnahmslosigkeit der Menschen im Alltag. Auf Fragen hört man immer wieder nur „Angazi“ (Keine Ahnung!) oder „Yes yes“ (Rutsch mir doch den Buckel runter). In der Zulu-Kultur ist alles Schicksal, dementsprechend niedrig ist die Motivation, selbst aktiv zu sein. Es findet sich immer jemand anders, der die Verantwortung übernehmen soll. In drei Jahren habe ich noch nie jemanden sagen hören: „Sorry, that is my fault“. Dieses Weltbild wird kulturell gefördert, weil sangomas (Medizinmänner) immer einen Schuldigen präsentieren, der die Ahnen verärgert hat. Ob der Kugelschreiber vom Tisch fällt, das Dach zusammenkracht oder der Nachbar beim Autounfall stirbt. Das kann einen wahnsinnig machen. Immer wieder.

5. Living the dream

Im vollgepackten Alltag vergisst man es immer wieder: Vor drei Jahren sind wir mit sechs Koffern und vielen Träumen hier angekommen, um unserem Herz zu folgen und im Ausland zu leben. Wir hatten keine Ahnung von Südafrika, dem Leben in unserer neuen Heimat und seinen Herausforderungen. Seitdem haben wir als Familie Stück für Stück ein völlig neues Leben gebaut, gegen alle Widerstände, die Entfernung nach Deutschland und die täglichen Frustmomente. Auch weiterhin sind wir die einzige europäische Familie in diesem Nest, Nirgendwo in Afrika. Klar, wir hatten viel Glück, dass der Wind uns gerade hierher getrieben hat, wo wir nicht nur als Entwicklungshelfer arbeiten, sondern auch ein gutes Leben führen können – inklusive einem schönen Zuhause, einer guten Schule für unseren Sohn und einer Internetverbindung, die den Kontakt in die Heimat nie abreißen lässt. Aber Glück muss man sich auch erarbeiten. Drei Jahre liegen hinter uns, drei vor uns. Vielleicht auch weniger, wer weiß schon, was morgen passiert. Ein Teil unseres Herzens schlägt inzwischen jedenfalls südafrikanisch.

 

Text & Fotos: fuexxe

 

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